Zielsetzung der Arbeit
Das Ziel dieser Masterarbeit ist die zweckgerechte Anwendung von geeigneten Analysemethoden mittels vordefinierten GIS-Funktionen in der post-Match-Spieluntersuchung. Dafür wurden entsprechende Daten beschaffen und aufbereitet, mit denen eine solche exemplarische Untersuchung durchführbar ist. Verwendet wurde ArcGIS von ESRI©
Datengrundlage
Eventdaten / Scoutingdaten
Eventdaten sind ereignisorientierte Daten des Fußballspiels. Sie können unterteilt werden in ballbezogene Ereignisse (Pässe, Schüsse, Einwürfe, ...) als auch in ballferne Interaktionen (Verwarnungen, Auswechslungen, Platzverweise, ...). Während der Datenerhebung erhalten sie automatisiert einen räumlichen Bezug, welches sie für eine Untersuchung mit Geographischen Informationsystemen interessant macht.
Trackingdaten
Trackingdaten sind punkthafte physische Daten, die als Trajektorien definiert werden können. Mittels geeigneten Algorithmen zur Objekterkennung, Ermittlung und Verfolgung werden aus Bewegtbildern die Koordinaten der jeweiligen Spieler:innen ermittelt. Dabei ist eine Abtastungsrate von bis zu 25 fps nicht unüblich. Dadurch entsteht eine enorme Datenmenge, welche eine objektive, ganzheitliche und umfassende Spielanalyse ermöglicht.
Das Spiel
FC Bayern München 4:0 Borussia Dortmund
Am Bundesligaspieltag Nummer 11 der Saison 2019/2020 trennten sich die beiden Mannschaften mit einem deutlichen Ergebnis. Die Tore für den Rekordmeister erzielten Lewandowski (17' | 76'), Gnabry (49') und Hummels (Eigentor, 80'). Dieses Spiel wurde als Analysebasis gewählt, da ein eindeutiges Ergebnis nicht immer gleichbedeutend mit einem verdienten Sieg ist. Dies sollte in einer raumzeitlichen Studie überprüft und validiert werden.
Die vorliegende Datenbasis erreichen Sie über folgende Links:
GIS-basierte Einzelspieleranalyse
Das Positionsspiel der linken Außenverteidiger
Heatmap
Mithilfe einer Heatmap kann der Raum visuell erfasst werden, an welchem sich ein gewählter Spieler am häufig befand. Dies ist mittels der Funktionen Punktdichte oder Kerndichte auf Basis der Trackingdaten durchführbar.
Untersuchung des Passspiels
Am Beispiel von A.Davies, dem linken Außenverteidiger der Bayern, wird die offensive Dominanz der Heimmannschaft in der ersten Halbzeit deutlich. Zu 44,4% befand er sich in der gegnerischen Hälfte, defensiv wurde er kaum benötigt. Die meiste Zeit befand er sich auf Höhe der Mittellinie und bekleidete taktiktreu seine linke Seite.
Richtungsverteilung
Mittels des ArcGIS-Tools Funktionsweise der Richtungsverteilung lassen sich Standardabweichungsellipsen aus den Trackingdaten erstellen. Ausgehend vom arithmetischen Mittelpunkt wird die Standardentfernung der x- und y-Richtung berechnet und als Ellipse ausgegeben. Mit dieser Analyse werden die Eindrücke der Heatmap verdeutlicht und in einem Trend illustriert.
Mit Hilfe der Richtungsverteilung lassen sich Vergleiche zwischen ähnlichen Positionen geschickt anstellen. Wurde die Offensivkraft Davies' bereits in den Ausführungen der Heatmap hervorgehoben, ist die defensive Bindung des linken Außenverteidigers der Borussia enorm auffällig. Ebenso bemerkenswert ist die Eingliederung Schulz' in das Zentrum. Es wirkt, als habe er (unfreiwillig?) den linken Innenverteidiger spielen müssen.
Das Passspiel Joshua Kimmichs
Ziel der Ermittlung der Passqualität
Die Absicht dieser Untersuchung ist die Objektivierung und Relativierung von quantitativen, verallgemeinernden Berechnungen wie bspw. der Passquote. Diese setzt zwar das Verhältnis zwischen erfolgreichem und nicht erfolgreichem Pass korrekt ein, doch eine Beurteilung der Passqualität und des Passrisikos ist mit dieser nicht durchzuführen.
Mit Hilfe von einigen räumlichen Parametern wie dem Zonenfaktor, dem Längenfaktor oder dem Passkorridorfaktor konnten unter Anwendung von Tracking-und Eventdaten die Pässe von J. Kimmich auf ihre Qualität beäugt werden.
Untersuchung des Passspiels
Diese Karte zeigt das Passspiel Kimmichs während der ersten Halbzeit auf. Dieses kann als qualitativ hochwertig bezeichnet werden, denn mit einer Passquote von 86,4% bei einer absoluten Anzahl von 44 Zuspielen erfüllt er die Erwartungen an seine dominante Rolle als spielgestaltender "Sechser". Erkennbar ist ein leichter Hang zur rechten Spielseite; 29 der 44 Pässe wurden auf dieser Hälfte gespielt. Klammert man die beiden vertretbaren Fehlversuche nach Ecken aus, erfolgten die vier restlichen unerfolgreichen Zuspiele durch jeweils zwei offensive und zwei quer getretene Pässe. Zwei dieser Fehlpässe waren verständlich, zwei eher als schlecht bzw. unnötig zu bewerten. Insgesamt erfolgten 14 offensive, 17 quere Zuspiele und 13 Rückpässe, was für diese Position als ein enorm offensives sowie aggressives Passspiel zu interpretieren ist. Das durchschnittliche Risiko eines Passes von Kimmich beträgt 2,42 (zum Verständnis: ein Wert von 1 definiert ein Pass ohne jegliches Risiko; 5 wäre das absolute Höchstmaß). Dieser Wert ist für einen defensiven Mittelfeldspieler, welcher sich im Spielaufbau häufig zwischen die beiden Innenverteidiger positioniert, verhältnismäßig hoch. Bemerkenswert sind zudem die häufigen, erfolgreichen Kurzpässe in zentraler Position.
GIS-basierte Mannschaftsanalyse
Realtaktische Aufstellung
Mehr als nur eine Spielerei
Die sogenannte realtaktische Aufstellung kann als ein probates Werkzeug betitelt werden, um das tatsächliche räumliche Geschehen in vordefinierten zeitlichen Abständen auf dem Spielfeld zu visualisieren.
Für diese Analyse wurden die Trackingdaten der ersten Halbzeit verwendet. Zum Einsatz kam das ArcGIS-Tool Mittelwert für Mittelpunkt.
Untersuchung des Passspiels
Die deutlich höheren Ballbesitzanteile der Bayern in der ersten Hälfte (über 60%) sind zum einen an dem großen Abstand zwischen den Innenverteidigern Martinez [8] und Alaba [27] (19,14m) erkennbar. Zum anderen sind die äußersten drei Flügelspieler (Pavard [5], Davies [19], Gnabry [22]) Bayernakteure, was auf das Auseinanderziehen des Gegners bei eigenem Ballbesitz zurückzuführen ist. Zusätzlich zu bemerken ist die zentrale Rolle Kimmichs [32], welcher sich, wie schon in seiner Passspieluntersuchung angesprochen, häufig im Spielaufbau zwischen die beiden Innenverteidiger fallen lässt. Die allgemeine Anordnung der Bayern ist als deutlich strukturierter und geordneter zu bewerten als die der gegnerischen Mannschaft.
Die realtaktische Aufstellung der Dortmunder lässt auf eine asymmetrische Taktik schließen, in welcher der linke Außenverteidiger auf Höhe der beiden Innenverteidiger agiert und damit eine Dreierkette bildet. Ob dies geplant ist oder unfreiwillig aufgrund des hohen Drucks der Bayern entstand, kann aus den Daten nicht entnommen werden. Auffällig hingegen ist die deutlich offensivere Interpretation des rechten Außenverteidigers, welcher auf Höhe der beiden zentralen Mittelfeldspieler agiert. Die Positionen der „Sechser“ sind bezeichnend für die defensive, ballferne Spielart der Dortmunder, da sie eine nahezu identische Position im Raum einnehmen. Der mittlere Abstand der beiden (Weigl [33] und Witsel [28]) beträgt 67cm. Während der Stürmer der Bayern auf ungefährer Höhe der letzten Kette der Dortmunder agiert, ist die 10 der „Schwarz-Gelben“ einige Meter davor anzusiedeln.
Kritische Einordnung
Inwieweit eine realtaktische Aufstellung über eine ganze Halbzeit als sinnvoll zu bewerten ist, sollte zumindest als diskutabel markiert werden. Am Beispiel Hazards [23] wird die Problematik einer taktischen Anpassung während dieses Zeitraums deutlich. Begann er das Spiel als eindeutiger linker Flügelspieler, zog es ihn im Laufe der ersten Hälfte auf die rechte Seite. In der Visualisierung ist er demzufolge als zentraler Mittelfeldspieler aufgeführt; diese Position bekleidete er faktisch jedoch zu keinem Zeitpunkt. Thematisch differenziertere Analysen wie eine realtaktische Aufstellung während des Ballbesitzes oder über einen geringeren Zeitraum hinweg muten hingegen deutlich sinnvoller an.
Passnetzwerk
Die bayrische Passmaschine
In dieser Analyse werden die Pässe aller Einzelspieler begutachtet und in den mannschaftsspezifischen Kontext gesetzt. Eine solche Überprüfung ist obligatorisch, um Spielmuster, wichtige Verbindungsspieler und Abhängigkeiten ausfindig zu machen. Der Kennzeichnung der Zentralität von Schlüsselspielern bedarf dabei einer fundierten und umfangreichen Datenbasis, bestehend aus der realtaktischen Aufstellung der Bayern und den vorliegenen Eventdaten
Bei der Erstellung einer solchen Visualisierung sind einige Informationen einzufügen. Die Spieler werden als Knoten des Netzwerkes dargestellt. Die Größe der Rundungen gibt Auskunft über die absolute Anzahl der Pässe. Innerhalb des Knotens ist ein Kreisdiagramm aufzufinden, welches die Fehl- mit den geglückten Zuspielen in Relation setzt. Die Knoten werden mit Kanten verbunden, welche mit Pässen gleichzusetzen sind. Die Dicke der Kanten informiert über die Anzahl der tatsächlich durchgeführten Zuspiele zwischen den beiden Spielern; dabei werden nur die erfolgreichen Pässe gezählt. Die Position des Fußballers auf dem Feld ist aus der realtaktischen Aufstellung übernommen.
Untersuchung des Passspiels
An dieser Stelle sind einige entscheidende Erkenntnisse anzudeuten. Der hohe Ballbesitzanteil wird durch die Zentralitätsspieler Alaba, Kimmich, Pavard und Martinez gestützt. Aufgrund der Passdominanz Pavards ergibt sich eine Rechtslastigkeit im Aufbauspiel; Davies als linker Außenverteidiger wirkt hingegen vergleichsweise isoliert. Auffällig ist zusätzlich die große Einbindung des Torhüters in das Passspiel und der Fokus auf kurze Zuspiele zu den entsprechenden Nachbarn. Herausragend ist die Leistung Goretzkas, welcher als offensiver Achter nur einen Fehlpass spielte.
Fazit
Die Durchführung der auf dieser Website präsentierten Untersuchungen zeigt, dass ein geographisches Informationssystem ein überaus zweckdienliches Werkzeug zur fußballspezifischen Spielanalyse darstellt. Auf Basis von geeigneten Geofachdaten, mit zwingender Unterteilung in Event- und Trackingdaten, lassen sich diverse Möglichkeiten zur Untersuchung finden. Die integrierten Funktionen der Software erlauben mannigfaltige und kreative Analysemethoden; eigens entwickelte Skripte können die Bearbeitung zusätzlich ergänzen und erleichtern.